Brustkrebsfrüherkennung: Wie blinde Frauen mit ihrem Tastsinn Leben retten – Claudia Haarer von discovering hands im Interview

28.10.2025 | Interview

Claudia Haarer ist Leiterin von discovering hands austria und spricht im Interview über Brustgesundheit und neuen Chancen zur Brustkrebsfrüherkennung.

Eine Frau mit weißer Uniform führt eine Untersuchung an einer liegenden Patientin durch. Im Hintergrund ist ein großes Banner mit dem Logo „d: discovering hands“.

Über 5.000 Frauen erkranken jährlich neu an Brustkrebs. Früh erkannt, sind die Heilungschancen deutlich besser, daher spielt die Vorsorge eine wichtige Rolle. discovering hands ist Teil der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs und widmet sich der Verbesserung der Brustkrebsfrüherkennung. Die Organisation bildet blinde und sehbehinderte Frauen zu Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen (MTU) aus. Dank ihres besonders ausgeprägten Tastsinns leisten MTUs einen wertvollen Beitrag zur Brustkrebsvorsorge.

Frage: Brustkrebs gehört zu den häufigsten Krebserkrankungen bei Frauen. discovering hands geht einen besonderen Weg in der Früherkennung. Wie ist die Idee entstanden?

Der Ursprung liegt bei Dr. Frank Hoffmann, einem deutschen Gynäkologen. Er hatte die Vision, den außergewöhnlichen Tastsinn blinder und sehbehinderter Frauen für die Brustkrebsfrüherkennung zu nutzen und ihnen gleichzeitig eine neue berufliche Perspektive zu eröffnen. Daraus entstand das Konzept der Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen, kurz MTUs.

Frage: Wie genau funktioniert die Taktilographie?

Es handelt sich um eine standardisierte, qualitätsgesicherte Methode zur Brustuntersuchung. Unsere MTUs durchlaufen eine etwa einjährige Ausbildung. Sie ertasten das Brustgewebe systematisch in drei Ebenen, sowohl im Sitzen als auch im Liegen. Mithilfe von speziellen Klebestreifen mit Brailleschrift entsteht ein Koordinatensystem, das eine präzise Dokumentation ermöglicht.

Frage: Und wie unterscheidet sich diese Untersuchung von der klassischen ärztlichen Tastuntersuchung?

Eine MTU nimmt sich rund 45 Minuten Zeit für Patient_innen – das ist deutlich mehr als der übliche „Quickcheck“ bei Ärzt_innen. Die Untersuchung ist sehr gründlich und umfasst auch Bereiche wie Achseln, Schlüsselbein und Lymphbahnen. Auffälligkeiten werden exakt verortet und grafisch dokumentiert, sodass die Patient_innen damit zur weiteren Abklärung zu Fachärzt_innen gehen können und sollen.

Frage: Warum ist die Früherkennung so entscheidend?

Je früher eine Gewebsveränderung entdeckt wird, desto besser sind die Heilungschancen.

Es muss ja nicht immer Krebs sein – auch gutartige Veränderungen wie Zysten oder Lipome können erkannt werden. Unsere Methode ergänzt die klassische Vorsorge ideal.

Frage: Wer kann denn MTU werden – welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Unsere MTUs haben eine hochgradige Sehbehinderung oder Blindheit, einen ausgeprägten Tastsinn und Freude am Umgang mit Menschen. Empathie, Kommunikationsfähigkeit und Interesse am medizinischen Bereich sind ebenfalls zentral. Der Umgang mit IT, unterstützt durch diverse Hilfsmittel, sollte kein neuer sein. Außerdem gibt es ein Assessment-Center mit einem psychologischen Eignungstest.

Frage: Das klingt nach einer echten Chance für viele Frauen und für Inklusion.

Unsere MTUs leisten nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Früherkennung, sondern können auch finanziell unabhängig leben. Sie übernehmen Verantwortung und sind Teil eines sinnstiftenden Berufsbilds. Das stärkt das Selbstwertgefühl und fördert gesellschaftliche Teilhabe.

Frage: Welche Rolle spielt die Selbstuntersuchung?

Eine sehr große. Die meisten Frauen wissen gar nicht, wie sie ihre Brust richtig untersuchen. Wir vermitteln das nötige Know-how und machen die eigenen Hände unserer Patient_innen zum Werkzeug der Früherkennung. Das schafft Bewusstsein und stärkt die Eigenverantwortung.


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