Männergesundheit aus der Tabuzone holen - Urologin und Influencerin Ria von answeringforafriend klärt auf
27.11.2025 | Interview
Ria ist angehende Urologin und Influencerin von answeringforafriend und spricht im Interview über Vorurteile und gesellschaftliche Tabus rund um urologische Themen und männliche Krankheitsbilder sowie über ihre Arbeit und persönliche Erfahrung mit dem Thema.

Frage: Was hat Sie persönlich dazu motiviert mit @answeringforafriend anzufangen?
In der Klinik im Umgang mit Patient_innen, aber auch im Freundes- und Bekanntenkreis ist mir schnell klar geworden, wie viel Unwissen rund um die Urologie besteht. Viele Menschen haben immer noch das Bild vom Urologen als Männerarzt im Kopf und wissen gar nicht, dass alle Geschlechter von urologischen Erkrankungen betroffen sein können. Außerdem habe ich das Gefühl, dass urologische Themen in der Öffentlichkeit vor allem von Männern beleuchtet werden. Da dachte ich, es wäre doch spannend die Urologie aus der Sichtweise einer jungen Frau verständlich und inklusiv zu vermitteln!
Frage: Urologische Themen und männliche Krankheitsbilder stellen heutzutage leider noch immer ein Tabu dar. Woran könnte das liegen?
Wir sprechen einfach viel zu wenig darüber. Urologische Themen finden im Alltag kaum statt. Unsichtbarkeit führt zu Scham. Außerdem ist keine standardisierte Vorsorge für Männer vor dem 45. Lebensjahr beim/bei der Urologen_in vorgesehen. Dadurch haben viele nie Kontakt zur Urologie und wissen nicht, was sie dort erwartet.
Frage: Außerdem kursieren rund um die Urologie zahlreiche Mythen. Was sind die größten Irrtümer, die Ihnen immer wieder unterkommen?
Das sind Unzählige! Es kursieren so viele Mythen und Fake News besonders auch in den sozialen Medien. Den hartnäckigsten Irrtum, dass nur Männer zum/zur Urologen_in gehen, habe ich ja schon aufgeklärt. Dazu kommen skurrile Fehlinformationen, beispielsweise von “Testosteron-Gurus”, Anti-Masturbations-Accounts oder selbsternannten Gesundheitscoaches, die verschwörungstherorieartig Fehlinformationen verbreiten. Deshalb ist seriöse Aufklärung so wichtig.
Frage: Wie ist Ihre Erfahrung als weibliche Urologin bisher? Vertrauen Ihnen die männlichen Patienten ihre Sorgen und Probleme offen an, oder bestehen Hemmungen aufgrund des Geschlechts?
Im Krankenhaus hatte ich damit zum Glück bisher wenig Schwierigkeiten. Die männlichen Patienten kommen ja in einer Akutsituation zu mir, in der ihnen geholfen werden soll. Was häufiger passiert, sind irritierte Reaktionen aufgrund des Rollenbildes der jungen Ärztin (unabhängig vom Fachgebiet). Nicht selten werde ich nach der Visite gefragt, ob der “Herr Doktor” denn auch noch vorbeikommt.
Frage: Viele Menschen denken beim Thema Urologie nur an Männergesundheit, dabei betrifft Ihr Fachgebiet alle Geschlechter. Warum ist es Ihnen so wichtig, dieses Bild aufzubrechen und wie kann Aufklärung hier helfen, alle Menschen mitzudenken?
Weil es so wichtig ist, dass auch die nicht männlichen Patient_innen wissen, dass sie sich mit ihren Beschwerden urologisch vorstellen können! Sonst fällt ein riesiger Teil der Patient_innen durchs Raster. In der Realität erhalten viele Patient_innen die richtige Behandlung zu spät. Deshalb ist es mir auch so wichtig, mich inklusiv auszudrücken. Denn Sprache entscheidet darüber, ob Menschen sich in der Medizin gesehen fühlen. Ein Beispiel, das mir besonders wichtig ist: Die weibliche Inkontinenz. Sie wird häufig still ertragen und einfach im Alter akzeptiert, weil vielen gar nicht bewusst ist, dass es gute Behandlungsmöglichkeiten gibt. Genau solche Themen brauchen viel mehr Sichtbarkeit.
Frage: Besonders was Vorsorgeuntersuchungen angeht, hinken Männer den Frauen noch hinterher und nehmen diese weniger oft war. Was könnte ein Grund dafür sein?
Da gibt es Umfragen dazu! Viele Männer geben an, dass sie sich uninformiert über Vorsorgeuntersuchungen fühlen, diese als Kontrolle ihres Lebensstils empfinden und aber auch Angst vor möglichen Ergebnissen und Folgen haben. Aufklärung ist hier die Lösung, denn Vorsorge tut (in der Regel) nicht weh und Früherkennung macht Therapien deutlich einfacher.
Frage: Frauen haben erwiesenermaßen einen großen Einfluss darauf, Männer zu ermutigen, zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen. Welchen Rat haben Sie an Frauen, die Männer in ihrem Leben haben? Inwiefern können sie dazu beitragen, dass Männergesundheit noch mehr Aufmerksamkeit bekommt?
Ich tu mich ehrlich gesagt schwer mit der Vorstellung, dass Frauen die “Verantwortung” für die Gesundheitsvorsorge ihrer Partner_innen/Brüder/Kolleg_innen übernehmen sollen. Was aber trotzdem hilft, ist ein offener Umgang mit dem Thema: Gespräche ohne Druck, ohne Vorwürfe, dafür mit echtem Interesse. Gesundheit sollte kein peinliches oder privates Nischenthema sein.
Frage: Viele Männer glauben, sie müssten stark, unabhängig und emotionslos sein - eine Erwartungshaltung, die Sie in Ihren Videos ansprechen. Wie arbeiten Sie konkret daran, diese stereotypen Vorstellungen von Männlichkeit aufzubrechen?
Vermutlich, indem ich sie sichtbar mache und offen über männliche Gesundheitsthemen spreche? Denn sobald man über Erwartungshaltungen spricht, kann man anfangen sie zu hinterfragen. Allein die Tatsache, urologische Themen öffentlich anzusprechen, ist schon ein Schritt in Richtung eines realistischen Männlichkeitsbildes.
Frage: Neben Aufklärung steckt in Ihren Videos auch viel Humor. Wie wichtig ist Ihnen dieser Aspekt, wenn es um unangenehme Themen geht?
Humor ist so eine schöne Brücke medizinische Themen zugänglicher, verständlicher und sympathischer zu machen. Wenn wir schon mal über ein Thema gelacht haben, wird es gleich viel leichter uns danach ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Ich könnte auch einfach aus einem urologischen Lehrbuch vorlesen, aber dann würde mir vermutlich niemand zuhören.
Frage: Wie kommen Ihre Inhalte (auf TikTok/Instagram) bei der Community an? Gibt es Unterschiede wie Männer vs. Frauen reagieren?
Ich bekomme wahnsinnig liebe Reaktionen und Nachrichten. Dafür bin ich sehr dankbar. Besonders motivierend ist es, wenn mir jemand schreibt, dass er oder sie einen Termin beim/bei der Urologen_in hatte, und es gar nicht so schlimm war, wie erwartet. Das ist ein tolles Gefühl. Manchmal geraten meine Videos aber leider auch in dunklere Bubbles. Dann sind die Kommentare unerträglich - misogyn, beleidigend, respektlos - und solche Kommentare kommen leider häufig von Männern.
Frage: Zum Schluss: Wenn Sie eine Botschaft an alle Frauen hätten, die Männer in ihrem Leben haben – sei es als Partner_innen, Kolleg_innen, Schwestern oder Freund_innen – was würden Sie ihnen mitgeben, damit Männergesundheit mehr Raum bekommt?
Sprecht miteinander so offen und oft wie möglich. Am Esstisch, in der Mittagspause, wann immer es geht, damit urologische Themen endlich aus der Tabuzone kommen!
Frage: Gibt es sonst noch etwas, das sie uns zum Abschluss gerne mit auf den Weg geben würden?
Ich wünsche mir, dass wir Urologie endlich nicht mehr nur als “Randfach” oder reines Männerproblem sehen. Urologie betrifft uns alle - egal welches Geschlecht, welches Alter oder welche Identität. Dafür brauchen wir mehr Aufklärung, Sichtbarkeit und ein Gesundheitssystem, in dem sich wirklich alle gesehen fühlen. Am Ende profitieren wir alle davon!

